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Herein, herein …


Meine *, meine _, kommen Sie herein und erinnern Sie sich mit uns an die goldenen Zeiten unserer vergangenen Zivilisation …

Quizfrage: Worum geht es auf dem Bild?

Unter allen Einsender*innen verlosen wir 10 kostenlose Bürgi-Tests. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Posted in #nonsense, deutsch.


Stimmen der Utopie

Ein befreundetes Projekt:
Utopien im Gesundheitswesen


Alles könnte anders sein. Was bleibt davon nach Corona übrig?
Teile deine Utopie für unser Gesundheitswesen mit uns!

Wir möchten einen Raum schaffen, um Ideen und Stimmen aus verschiedensten Perspektiven und Kontexten zu sammeln. Denn eine Utopie, die für alle funktionieren soll, kann nur aus einem Mosaik von Meinungen und Entwürfen vieler Menschen entstehen – und diese wollen wir sichtbarer machen, indem wir die gesammelten Beiträge anonym veröffentlichen.

Wer hätte gedacht, dass eine Pandemie kommt und das gesamte öffentliche und gesellschaftliche Leben, wie wir es kennen, innerhalb weniger Wochen vollkommen auf den Kopf stellt? Die Liste an Einschränkungen, die derzeit unseren Alltag bestimmen, ist lang. Unter diesen Einschränkungen zu leben, ist für manche leichter als für andere. Soziale Ungleichheiten werden in Zeiten der Corona-Krise verschärft: Was für manche Home-Office und Entschleunigung im Eigenheim mit Garten bedeutet, heißt für andere soziale Isolation in zu kleiner Wohnung ohne Balkon, rund-um-die-Uhr Kinderbetreuung und nebenbei noch im systemrelevanten Job arbeiten.

Besonders unser Gesundheitssystem befindet sich derzeit im Ausnahmenzustand, plötzlich steht die Krankenversorgung mit höchster Priorität auf der politischen und medialen Tagesordnung. Und dabei steckt das Gesundheitssystem in Deutschland bereits seit Jahren in der Krise. Pflegenotstand, Fallpauschalen, Investitionsstau und Marktlogiken sind nur die Spitze des Eisbergs. Verschiedenste Bündnisse machen schon lange mit Streiks auf die Missstände aufmerksam und fordern eine Veränderung.

Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit ist ein Menschenrecht – das führt uns die aktuelle Situation deutlich vor Augen.

Deshalb möchten wir diese Zeit als Anstoß nutzen, um weiter- und umzudenken. Dafür möchten wir dich einladen, deine Vorstellungen und Gedanken mit uns zu teilen: Was muss sich am bestehenden Gesundheitssystem ändern? Wie könnte eine solidarische Gesundheitsversorgung aussehen?
Eine Kooperation von Medizinstudierenden aus Leipzig und Jena
Kritische Medizin Leipzig – Kritische Medizin Jena
(Text kopiert von: https://www.leipzig.kritmed.de/utopien/)

Posted in #organisierung, #utopie, deutsch.


Mundschutz statt Grenzschutz!

Kreativer Umgang mit Versammlungseinschränkungen und Maskenpflicht…

Posted in #nonsense, #organisierung, deutsch.


Song “Care Revolution”


Die Menschen, von denen der Song geschrieben wurde, haben ihre Forderungen und den Song in ein Dokument verpackt. Beidseitig bedruckt, lässt sich das Ganze auf einem A4-Blatt einfach mitnehmen, verteilen und aushängen.
Forderungen können natürlich gerne geändert werden – hier die Datei dafür: care revolution completo

Anhören könnt ihr den Song hier: https://soundcloud.com/user-150426011/care-revolution

Posted in #poetry.


Fragmente

Der Spiegel der Vielen gesprungen
Hier singt schon der Frühling ein Lied ohne Worte
Von Scherben an denen sich Ängste schneiden
Zuvor noch verhüllt in Leder und Leinen
Da sammeln sie – wollen vergebens die Ordnung erhalten
Und wissen noch nicht – warum dieser Atem das Neue verspricht

Posted in #poetry.


Der Tod, die Angst und andere Leichen im Keller – Teil 1

Triggerwarnung/Disclaimer: In diesem Text wird es neben vielem anderem um das Thema Tod und Sterben gehen. Viele Menschen halten dieses Thema lieber von sich fern – das finde ich eher problematisch, siehe unten. Aber gerade in Zeiten von Vereinzelung und Angst ist das vielleicht für einzelne Menschen auch gerade zu viel. Ich fühle mich angesichts des Themas deswegen verpflichtet, meinem Text diesen Disclaimer voranzustellen und auch daran erinnern, dass – Krise hin oder her – Anlaufstellen für Notfälle wie immer bereit sind und ihre wichtige Tätigkeit machen. Dazu gehören z.B.:

  • Sorgentelefone wie die Telefonseelsorge: 0800-1110111 / 0800-1110222 (z.T. gibt es auch lokale Sorgentelefone, Suchmaschinen helfen)
  • Die Ambulanzen der Sozialpsychiatrischen Dienste vor Ort (auch kurzfristig/unangemeldet; aber meist nicht nachts oder am Wochenende geöffnet)
  • wenn es gar nicht anders geht (insbesondere bevor sich jemand selbst oder anderen Schaden zufügt): die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses, idealerweise eines mit pschychiatrischer Abteilung – im Notfall (aber bitte nur dann) auch über den Rettungsdienst 112


Heute früh hatte ich meinen ersten “Corona-Toten”.

Drei Nächte zuvor musste ich bereits seine Kinder informieren, dass es ihrem Vater zunehmend schlechter gehe. Der an fortgeschrittener Demenz erkrankte Mann war mit Lungenentzündung ins Krankenhaus eingewiesen und wie derzeit alle Patienten mit Atemwegserkrankungen bzw. Fieber auf die Isolierstation aufgenommen worden. Dort wurde er positiv auf SARS-CoV-2, den Erreger von COVID-19 getestet. Bei einer fortgeschrittenen Demenz werden Infekte immer häufiger, und das Immunsystem kann banale Infekte wie eine Erkältung oder eine leichte Blasenentzündung nicht mehr so gut bekämpfen, so dass sie sich leichter zu Lungen- oder Nierenbeckenentzündungen bis hin zur Blutvergiftung ausbreiten. Der Tod von Menschen mit Demenz kommt daher schließlich oft durch eine solche Infektion – in letzter Zeit eben manchmal auch durch COVID-19.

Besuche im Krankenhaus sind momentan per Verordnung untersagt, allerdings ändern sich die Details der Regelungen oft. So konnte ich am Telefon spätabends zunächst nur auf die Stationsärztin im Frühdienst verweisen. Ich konnte die Tochter am Telefon weinen hören – und dann bedankte sie sich sehr freundlich für unsere Bemühungen. Ich hätte gut verstehen können, wenn sie mich wütend angeschrien hätte, was mir einfällt, ihr keinen Besuch beim schwerkranken Vater zu erlauben. In der Patientenakte konnte ich heute nun nachlesen: Die Stationsärztin hatte am Folgetag mit Verweis auf eine Einzelfallregelung für Palliativpatienten dem Sohn einen Besuch ermöglicht, ob die Tochter auch im Krankenhaus war, weiß ich nicht; die Ehefrau des Patienten war wohl bereits in Quarantäne und durfte nicht mitkommen. Wie schon seit längerem habe sich der alte Mann aufgrund seiner Demenz nur noch mit ja und nein äußern können, der Sohn habe ihn als ruhig und freundlich wahrgenommen, offenbar hatten die Medikamente – unter anderem auch Morphin – dafür gesorgt, dass er nicht mit Atemnot zu kämpfen hatte.


Nur etwa ein Viertel aller Menschen stirbt zuhause – das was sich angeblich so viele wünschen.[1] Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass viel zu viele Menschen im Krankenhaus sterben, und das viel zu oft alleine: Obwohl genau das den Meisten die schlimmste Vorstellung ist. Warum passiert es trotzdem? Oft weil die Angehörigen Angst haben und irgendwann am Anfang des Sterbeprozesses den Rettungsdienst anrufen. Manchmal sind es die Pflegekräfte im Altenheim, die die Verantwortung abgeben wollen oder sogar müssen. Rettungsdienst und Notärzt*innen wollen oder dürfen sich oft nicht die Zeit nehmen, einem Menschen das Sterben zuhause zu ermöglichen oder sie wollen sich “absichern”. Ebenso einige Hausärzt*innen. Angst beim Sterben dabei zu sein. Angst, etwas falsch zu machen. Angst, die Verantwortung zu tragen. Angst, das Wahrscheinliche ehrlich auszusprechen. Angst, Angst, Angst.

Der Tod ist scheinbar für viele Menschen mit unglaublich viel Angst besetzt. Dazu gibt es eine Menge humorvolle Sprüche, zum Beispiel: “Wieso haben die Menschen so viel Unsicherheit in Bezug auf den Tod? Er ist doch das einzige im Leben, was zu 100% sicher ist”. Tatsächlich haben wohl nur wenige Menschen eine klare Vorstellung von diesem sehr natürlichen Vorgang des Sterbens. Der Tod ist tabuisiert und aus dem Alltag verdrängt. Und wenn er gelegentlich etwas präsenter wird, zum Beispiel in einer Pandemie, dann bricht die Angst durch und kann alles in der Gesellschaft auf den Kopf stellen. Der sonst so effektiv aus dem Alltag herausgehaltenen Angst vor dem Tod gelingt es, alle vor sich her zu treiben: 95%-ige Zustimmung für Maßnahmen einer Regierung, das hätte man bis vor einigen Wochen in “Nordkorea” verortet.[2]

Was mich daran traurig macht: Offenbar spielen rationale Argumente nur eine geringe Rolle bei dieser überragenden Zustimmung zu zweifellos weitgehend sinnvollen Maßnahmen. Rationale Argumente ḿit breiter wissenschaftlicher Fundierung würden auch – seit mindestens 30 Jahren – für ein rasches Handeln in der Klimakrise unter Inkaufnahme von kurz- und mittelfristigen Einschränkungen sprechen. Nicht rationale Argumente sondern gezielt Angst mit entsprechender Kommunikation durch “Schockwirkung” zu befördern – das wird im internen Strategiepapier des Innenministerium von Ende März 2020 als zentrale Strategie propagiert: “Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden: 1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause.”[3]

Vor einigen Wochen war ich optimistischer hinsichtlich der vernünftigen Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften in der Krise. Nun zunehmend Angst und nicht vernünftige Vermeidung schwerer Konsequenzen als Leitmotiv des Handlungskonsens’ zu erkennen, ist enttäuschend.


In der Nacht sehen die Pflegekräfte üblicherweise alle ein bis zwei Stunden nach den Patienten. Wenn es jemandem schlecht geht, erhält er*sie etwas mehr Aufmerksamkeit (und die anderen etwas weniger). Bei dem genannten älteren Herrn stellten sie also heute Nacht bei einem dieser Rundgänge fest, dass er nicht mehr atmete und riefen mich dazu. In einem solchen Fall ist es meine Aufgabe, den verstorbenen Menschen zu untersuchen: Einerseits um sicher zu sein, dass er*sie wirklich verstorben ist, andererseits um zu wissen woran (soweit das möglich ist). Außerdem muss ich die Angehörigen informieren. Das ist normalerweise ein kurzer Anruf in dem ich mein Beileid äußere – ich benutze tatsächlich diese Floskel, die so hingeschrieben sehr unbeteiligt klingt. Aber es sind diese Anrufe, die mich oft am meisten berühren – bzw. in Zeiten vor Corona die persönliche Begegnung mit den Angehörigen von Verstorbenen, ein Händedruck am Sterbebett: “Mein Beileid” oder gar noch formeller “Ich möchte Ihnen mein Beileid ausdrücken.” Derzeit sind es nur noch Anrufe, und bei Verstorbenen mit COVID-19 kommt per Dienstanweisung etwas unangenehmes dazu: Ich muss gleich in diesem Gespräch – in die Stille hinein, die nach der Todesnachricht meistens entsteht – die Angehörigen bitten, innerhalb von 30 Minuten einen Bestattungsdienst zu beauftragen, der die Leiche direkt von Station abholen soll. Das fühlt sich meist sehr taktlos an. Heute am frühen Morgen waren die Angehörigen wieder sehr verständnisvoll. Schon zehn Minuten später meldete sich die Bestatterin und fragte nach den Details. Ich musste tatsächlich noch um ein bisschen Zeit bitten. Denn es ist üblich, dass man nach ungefähr zwei Stunden einen sogenannten “zweiten Blick” macht, bei dem man Veränderungen am Körper der*des Verstorbenen feststellt, die als “sichere Todeszeichen” gelten. Damit niemand lebendig begraben wird, so hat man uns das an der Universität erklärt. Erst danach kommt ein ziemlich offizieller Akt für einen einfachen Arzt: Ich fülle eine Urkunde aus, die “Todesbescheinigung”, die später an Behörden (Standesamt, Gesundheitsamt) geschickt wird. Man könnte sagen: Ich erkläre einen Menschen für tot.


Auch im Krankenhaus spielt die Angst eine wichtige Rolle. Es gibt Menschen die als Pflegekräfte arbeiten und die nachts Angst haben in die “Leichenhalle” zu gehen. Wie ich bereits geschrieben habe, gehört der Umgang mit Toten durchaus zu meinem Arbeitsalltag. Wenn ich dann aber wie gerade beschrieben “den Tod festgestellt habe”, ist meine Aufgabe allerdings normalerweise erledigt. Alles was dann kommt, darf ich anderen Gesundheitsarbeiter*innen überlassen.

Schon gestern Abend war ein*e Patient*in verstorben: Nicht an COVID-19 sondern an einer der vielen anderen Ursachen, die bei einem alten Menschen mit ohnehin stark geschwächten Körperfunktionen dazu führen können, dass diese dann nacheinander aussetzen. Auch in diesem Fall wurde ich dazu gerufen und habe “den Tod festgestellt”. Allerdings hörte ich dann mit, wie die Stationsschwester telefonisch versuchte, eine weitere Person zur Unterstützung für den Transport in den Keller zu finden. Mehrere Mitarbeitende verweigerten sich aus Angst – da ansonsten wenig Arbeit auf mich wartete, machte ich mich gemeinsam mit der Stationsschwester auf den Weg. Eine solche Leichenhalle ist eigentlich ein einfacher Kühlraum, wie es ihn auch zum Beispiel in Restaurants für Lebensmittel gibt. Bloß dass die Stahlwannen hier gut zwei Meter lang sind und auf Rollen ins das Regal geschoben werden. Wir hatten tatsächlich schon einige “Leichen im Keller”, vier oder fünf Fächer waren bereits belegt. Eingerollt in ein Bettlaken wurde die soeben Verstorbene dazwischen geschoben. Dann Licht aus und Riegel vor, damit es drinnen kalt bleibt. Schließlich noch eine Eintragung in ein Buch. Das ist eine erstaunlich nüchterne Sache, ein bisschen pietätlos fühlt es sich an mit den Stahlwannen. Aber es ist irgendwie auch nicht so wichtig, was dort unten ist, wo nur gelegentlich Pflegekräfte oder die Bestatter*innen hinkommen. Das was zählt sind die Gesten, die Symbole und die Floskeln, der Händedruck oder wenigstens der Telefonanruf. Nicht die Lagerung der Toten ist relevant, sondern die Begleitung der noch-Lebenden und der weiter-Lebenden.


Teil 2 hoffentlich wenn ich wieder ausgeschlafen bin: zu den gefühlt so verschiedenen Realitäten: Die Realität der Gesundheitsarbeiter*innen, für die Exponentialkurven der Unterschied zwischen utopischen Arbeitsbedingungen und schlaflosen 3-Tages-Schichten bedeuten können. Und die Realität fast aller anderen, denen die Exponentialkurve immer abstrakt und fern bleibt, und die sich ihr trotzdem voller Angst unterwerfen sollen. Die Realität derjenigen, die sarkastisch “jedes Jahr einen Corona-Ausbruch” gebrauchen könnten, weil sie endlich einmal ihre Arbeit in der Notaufnahme bewältigen können, wenn viele Menschen mit harmloseren Befindlichkeitsstörungen aus Angst zuhause bleiben und nur noch die kommen, die wirklich schwer krank sind. Die Realität derjenigen, die vor Isolation den Koller kriegen, für die das allgegenwärtige Wort “Solidarität” von Sinn entleert wird, die im besten Fall sich mit neuer “Kinship” aus der Vereinzelung herauskämpfen (wie freytaggrau an anderer Stelle in diesem Blog – Danke!).

Fußnoten

[1] Hanno Charisius in Süddeutsche Zeitung vom 22. Februar 2015, online unter: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/sterben-der-beste-tod-1.2360416-0
[2] ARD-Deutschlandtrend vom 23. März 2020, online unter: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-extra-blitzumfrage-103.html
[3] “Gruppe von rund zehn Fachleuten” im Auftrag des Bundesinnenministeriums “Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen”, online veröffentlicht durch die Open Knowledge Foundation e.V./FragDenStaat.de unter: https://fragdenstaat.de/blog/2020/04/01/strategiepapier-des-innenministeriums-corona-szenarien/, hier insbesondere S. 13f.

Posted in #krankenhaus, #tagebuch, deutsch.


Solidaritätsruf in Zeiten der Vereinzelung

Als ich vor zwei Wochen mit einer Freundin telefoniere, sagt sie mir: „Ich kann das Wort Solidarität wirklich nicht mehr hören. Als ich das gestern auf den Banner geschrieben habe, ist mir fast schlecht davon geworden.“ Irgendwie konnte ich voll gut verstehen, was sie damit meint. Dieses Wort ist so leer geworden. In einem Fenster 100 Meter von meiner Wohnung hängt ein Schild: „Noch nie konnte man sich zum Helden machen, in dem man einfach nur zuhause bleibt. Lasst euch diese Chance nicht entgehen.“ Und auch hierbei wird mir schlecht. So als könnten wir uns nur ansatzweise solidarisch zeigen, wenn wir zuhause bleiben. Solidarisch wem gegenüber und wem nicht frage ich mich.

Heute Morgen sind wir mit ca. 15 Menschen in einer Telefonkonferenz im Projekt „Cycle“. Wir haben einen Zeitrahmen geschaffen, in dem wir zum Thema „Handlungsfähigkeit“ zunächst brainstormen wollen, anschließend in die Planungsphase übergehen, um dann neun Tage konkret etwas umzusetzen. Von uns weiß keine Person, was wir denn so genau durchführen wollen, aber irgendwie fühlt es sich trotzdem total wichtig und richtig an, gerade hier zu sein. Wir sind auf der Suche nach Handlungsformen und erkennen schon hier, wie schwierig es ist, dabei offen zu bleiben und nicht direkt in Aktionismus zu verfallen und einfach die Projekte umzusetzen, die wir – alle einzeln – eh schon seit Jahren im Kopf haben. Oder eben auch nicht.

Wir hören einen Beitrag einer unserer Gefährtinnen, dass das was wir hier gerade tun, eine Form der Kollektivität, eine Form von „Kinship“, zu deutsch vielleicht „Verwandtschaft“ ist. Die Theoretikerin Haraway sagt, dass es außerhalb von Familie kaum Räume gibt, in denen wir füreinander da sind und wirkliches Miteinander erleben. Räume, denen wir uns auf lange Zeit commiten und gemeinsam wirksam sind. Füreinander einstehen. Miteinander denken. Gemeinsam handeln. Mir stößt das irgendwie auf.

Nach der Telefonkonferenz sitze ich in meiner WG. Die erst seit wenigen Wochen mein Zuhause ist. Ich erkenne Probleme und Bedürfnisse wieder, die auch schon in anderen Gruppen, in denen ich gewohnt habe „auf den Tisch kamen“. Es geht um die Aufteilung von Care-Arbeit. Irgendwie. Auf der Meta-Ebene. Und ich spüre, wie wichtig das hier gerade ist und gleichzeitig merke ich, wie innerlich in mir ein Druck steigt: In den Lagern auf den griechischen Inseln und in Gaza sterben Menschen; Im Libanon (den ich erst vor zwei Monaten verlassen habe) dürfen Menschen nicht auf die Straße gehen und ein Freund betrinkt sich regelmäßig, weil er mit seiner Isolation nicht zurechtkommt. In mir schreit es: Wir brauchen ein neues System, eine neue Gesellschaft, eine Grenzenlosigkeit, wir brauchen Solidarität. Aber wie zu Anfang gesagt, diese Begriffe wirken wie leere Hülsen, ich fühle mich nicht im Stande über diese Themen zu reden, die Welt scheint zu groß, die Mächtigen zu mächtig, ich zu klein, um irgendetwas zu verändern.

Vor zwei Jahren sitze ich mit einer Therapiegruppe nigerianischer Frauen zusammen und diskutiere das Thema meiner Bachelorarbeit: Was heißt Unterstützung und wie kann diese für Geflüchtete Frauen funktionieren. Beim Zitat „Don’t give me the fish, but teach me how to fish“ wird das Gespräch auf einmal lebendig. Ich erkenne, wie absurd es ist, helfen zu wollen, weil das Menschen entmächtigt. Menschen brauchen keine Hilfe. Sie wollen gesehen werden, sie wollen für sich selbst sprechen, sie brauchen mich nicht als Sprachrohr. Ich brauche sie viel mehr, um mir darüber klar zu werden, was überhaupt scheiße läuft. Weil ich allein nur bleierne Apathie fühle und nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Ich schäme mich dafür.

Solidarität funktioniert nicht, wenn sich zwei Seiten bilden: Auf einer Seite, die die helfen wollen: Willkommenskultur 2015, Hilfsangebote, meine Arbeit bei der Caritas. Auf der anderen Seite, die Sprachlosen, die Armen, die Unterdrückten, die die ominöse Wahrheit gepachtet haben, an die wir leider nicht dran kommen, weil unser System blöd ist.

Das sogenannte System kann nicht kritisiert werden, wenn wir uns selber aus ihm herausziehen. Die Knoten, die es knüpft, sind in uns geknüpft. Wir fühlen die Probleme, die darin stattfinden und wir sind es auch, aus dem dieses scheiß Netz geknüpft ist. Wir können niemals raus.

Während Corona fühle ich meine Vereinzelung wie nie zuvor. Ich habe mich immer so wohl damit gefühlt, von einem Freundeskreis zum nächsten zu tingeln und mich inspirieren zu lassen und zu inspirieren. Von einer Politgruppe nehme ich Forderungen auf, die zu meinen eigenen werden, ich erschaffe nur an diesen Orten Visionen und Utopien, die mich weiter zu diesen Treffen gehen lassen. Jetzt ziehen sich viele meiner Freunde in ihre Kernfamilie, ihre Paarbeziehung oder in sich selbst zurück. Isolation, Abschottung, Überwachung erscheinen in viel zu vielen Gesprächen und Artikeln als logische Konsequenzen der „Situation“.

Jetzt bin ich wütend auf das Internet (und ich weiß, dass das komplett irrational ist). Trotzig denke ich: Wenn wir kein Internet hätten, würden die Menschen sich natürlicherweise gegen das Social Distancing erheben. Sie könnten nicht zuhause bleiben, weil ihre Existenz davon abhängen würde, weiter mit Menschen in Kontakt zu sein. Ich weiß, dass von Social Distancing Menschenleben abhängen. Im Grunde reden wir so oft bei Corona über unsere eigene Angst zu sterben oder geliebte Menschen zu verlieren. Und gleichzeitig schweigen wir irgendwie sehr laut darüber, wenn wir über Infektionsketten, die Strategie der Bundesregierung oder den Zusammenbruch des Gesundheitssystems philosophieren.

Eine Freundin, die ich im Libanon kennengelernt habe, die aus Dänemark kommt, hat mir vor sechs Wochen gesagt: „Ich habe Angst, dass wenn die Grenzen schließen, ich nicht zu der Beerdigung meiner Oma kann.“ Ihre Oma ist nicht krank, sie hat sich nicht mit Corona angesteckt und auch heute geht es ihr gut. Mir ist an dieser Stelle wichtig herauszustellen, welche tiefliegenden Ängste Menschen gerade überall bewegen: Wir sind getrennt von den Menschen, die wir lieben. Sowohl denen, die sich gerade in anderen Nationen befinden, als auch unseren Freunden, bei denen wir sonst einfach vorbeischauen könnten. Ich spüre die bleierne Vereinzelung, die ich die letzten Jahre immer schon in sogenannten kritischen Lesekreisen als Folge des Kapitalismus benannt habe, wie nie zuvor an meinem eigenen Körper. Und gerate trotzdem gleichzeitig wieder in eine Schleife der Relativierung: „Du wohnst doch mit acht anderen Menschen zusammen“; „Du bist doch immer noch in zwei Politgruppen aktiv, da macht ihr doch kollektive Arbeit.“ „Du kannst doch telefonieren.“. Aber in manchen Momenten fühlt sich das einfach nicht lebendig an. Ein riesiges Unbehagen baut sich auf und ich denke, dass ich dieses Unbehagen – was übrigens überhaupt nicht neu ist – endlich ernstnehmen muss.

Ich will endlich verstehen, was mit dieser sogenannten Solidarität gemeint sein kann und wieso ich mich so abgetrennt von ihr fühle. Und dafür muss ich mich selbst ernstnehmen. Ich muss ernstnehmen, dass die Kämpfe im Libanon gerade auch meine Kämpfe sind, weil ich mich dazu entschieden habe, dort für eine Zeit lang zu leben und weil ich mein Leben lang stark gemacht habe, dass politische Forderungen niemals an nationalen oder Sprachgrenzen Halt machen dürfen. Ich muss ernstnehmen, dass das, was ich in meiner WG und dem Cycle erfahre, Kollektive sind. Und das Haraway genau über diese spricht und nicht über irgendwelche abgefahrenen, metaphysischen Verbindungen von Quallen. Ich muss ernstnehmen, dass ich es selbst bin, die nicht mehr von diesem Gesundheitssystem versorgt werden will. Weil ich mich nicht darin gesehen fühle und weil sich meine Behandlung nur so anfühlt, als würde ich gerade eine Dienstleistung erfahren, die einen gewissen Marktwert hat. Ich will mein Bedürfnis nach wahrer Verbindung und wahrem Lernen an der Uni ernst nehmen, weil ich seit nun schon sechs Jahren dort so unglaublich unzufrieden und enttäuscht bin, weil ich glaube, dass Orte des Lernens ganz anders aussehen müssen.

Dieses Unbehagen, und das zusätzliche Ernstnehmen dieses ist erst der Anfang davon, mit Menschen ins Gespräch zu kommen: Den Kioskbesitzer zu fragen, wie es ihm eigentlich gerade in der Corona-Krise geht und wie das Geschäft läuft. Den Freund meiner Oma zu fragen, ob er nun besser mit seinem Hexenschuss klarkommt. Bei dem WG Plenum aufzutauchen und nicht zu sagen, dass ich gerade zu viel „Politkrams“ im Kopf habe. Aber darüber hinaus sich auch zu trauen, in größeren Rahmen zu denken: Die Freundin in Barcelona darin zu bestärken, den „Häuserkampf“ weiterzuführen. Die Handynummer von einer Gewerkschaftlerin an eine Freundin weiterzugeben, die gerade beim Frauen*streik eingestiegen ist. Die Aha-Momente aus dem Sprachcafé mit syrischen Frauen, das gerade natürlich nicht stattfinden kann, aber irgendwie weiter über Beziehungen untereinander läuft, mit Menschen zu teilen. Sei es in Form eines Artikels oder halt bei einem Glas Wein.

Wir brauchen Formen der kollektiven Handlungsfähigkeit. Wir brauchen Räume, in denen wir kreativ sein können und keine Angst haben müssen, das zu benennen, was gerade in uns lebendig ist. Wir müssen offen für Wandel sein, weil Wandel aufregend ist und Lernen essentiell ist, um uns lebendig zu fühlen. Ich brauche Menschen, die Lust haben, mit mir aktiv zu sein. Sei es in meinem Wohn-, Arbeits-, oder Politkontext oder in meiner romantischen Beziehung. Ich glaube nicht, dass das Wort Solidarität abgenutzt ist. Ich glaube, wir brauchen es mehr denn je.

Posted in #organisierung, #tagebuch, deutsch.


Heute ist ein neuer Tag, Solidarität statt Grenzen!

As humanity
either we sink
or we swim together.

Posted in #poetry, deutsch, english.


Hmmm – Was ziehe ich heute an?


All colours are beautiful!

Posted in #meinung, #nonsense.


Is it just me?

Wache auf in einer Stadt
erwarte sie in Angst zu sehen
Menschen bewaffnet mit Tüten
auf dem Weg in die Einsamkeit

Das Netz das uns alle umfasst
gekettet an schwarz leuchtende Bildschirme
mit der Frage im Kopf
ob dies für lange Zeit unser einziges Netz sein kann

Entscheiden wir uns heute
für Tage, Wochen, Monate, Jahre
für Orte die wir nicht kennen
für Stimmen die wir nie hörten

Vermeiden wir nach Händen zu greifen
um uns selbst zu schützen, oder andere?
ich atme ein und sehe die Welt
sie hat nicht aufgehört sich zu drehen

Herrscht Angst vorm Tod?
Wo Angst vor Einsamkeit herrschen sollte?

Posted in #poetry, #tagebuch, deutsch.