Skip to content


Danke, die Antwort habe ich mir gewünscht!

“Guten Tag, Corona-Testzentrum hier, wie kann ich Ihnen helfen?”

“Hallo, das ist ja schön, dass ich Sie erreiche-  ich versuche es jetzt schon seit fünf Stunden- Frau XY hier aus der Arztpraxis Z. Ich würde gerne sechs Patienten zur Testung anmelden.”

“Alles klar, haben Sie bereits mit allen die Telefontriage nach den RKI Richtlinien durchgeführt?”

“Die was?”

“Naja, damit das hier alles geregelt abläuft und die geringen Kapazitäten von denen genutzt werden, bei denen eine Infektion am wahrscheinlichsten ist, müssen Sie sich an das Flussschema halten, welches das Robert-Koch-Institut veröffentlicht hat.” [dieses Flussschema ist eigentlich ziemlich smart, leider nützt es wenig, wenn Ärzte von ihren Patient*innen unter Druck gesetzt werden und dann selbst zu einiger Lüge bereit sind, um diese zu befrieden- dazu aber später mehr]

“Jaja, daran halten wir uns. [okeee?!] Also das ist als erstes Frau … [sie gibt die Daten der ersten fünf Patienten durch, dann nach kurzer Pause] und nun ja, dann haben wir noch einen wirklich tragischen Fall, also Herr Wichtig, der arbeitet im Gericht und der hat auch Kinder und das wäre ja jetzt schrecklich, wenn der in Quarantäne müsste…”

“Treffen denn auf diesen Patienten die Kriterien zu, die eine Testung rechtfertigen?”

“Also, der ist ja den ganzen Tag mit vielen Menschen in Kontakt, wie gesagt der arbeitet ja im Gericht und Kinder hat der auch.”

“Ist Herr Wichtig denn krank? Hat er Symptome, die eine Testung rechtfertigen?”

“Nein, krank ist er nicht…”

“Dann ist er ja streng genommen überhaupt kein Patient; dass Sie hier Menschen aufgrund ihres Berufes bevorzugen wollen, finde ich extrem unverantwortlich; außerdem blockieren Sie nun die Leitung; wegen Menschen wie Ihnen, die mir nen Knopf an die Backe labern, nur um den Interessen irgendwelcher Privatpatienten zu gehorchen, dauert es fünf Stunden bis Sie mich erreichen können…” [denke ich mir und sage anstatt dessen: “Tut mir Leid, dann bekommt Herr Wichtig keinen Termin, nur Menschen mit Symptomen. Bitte halten Sie sich an die Vorgaben des RKI und leiten Sie diesen Hinweis bitte an den behandelnden Arzt weiter. Schönen Tag noch!”]

In einer ähnlichen Situation habe ich einen Arzt persönlich an der Strippe.

“Tut mir Leid, Herrn Wichtig können wir nicht testen, er entspricht nicht den nötigen Kriterien, die das RKI festgelegt hat”

“Danke, die Antwort habe ich mir gewünscht!”

“Wie bitte?”

“Sie bestätigen mich da in meiner eigenen Bewertung der Situation. Ich hatte es dem Patienten versprochen, dennoch einmal nachzufragen.”

“Sie haben nicht nachgefragt, sondern versucht mich zu überlisten. Ich bin nicht dazu ausgebildet diese Entscheidung zu treffen, Sie sind der Arzt, Sie tragen hier die Verantwortung für die Bewertung der Situation, das Flussschema ist für Sie erstellt worden, um Sie zu unterstützen, nicht für mich, um Sie an Ihre Aufgabe zu erinnern.”

Ein anderer Arzt ist in der Leitung.

“Tut mir Leid, Herrn Wichtig können wir nicht testen, er entspricht nicht den nötigen Kriterien, die das RKI festgelegt hat” – er droht mir:

„Hören Sie mal, entweder geben Sie mir jetzt einen Termin oder ich gebe Ihre Nummer an meinen Patienten raus!“ …

Verantwortung zu übernehmen fällt uns in diesen Zeiten nicht leicht- auch vielen Ärzt*innen nicht. Angst, Druck und Unsicherheiten zeigen sich auf vielfältige Weisen. Wut, aber auch unangebrachte Dankbarkeit schweben in so einem Maße im Raum, dass die Luft dick wird. Ich mache das hier allerdings nur für zwei Wochen und werde es so lange aushalten. Außerdem werde ich mit 30€/Stunde bezahlt… weird. Die Ärzt*innen in den Testcontainern verdienen übrigens 200€/Stunde… katsching, ich gönne es allen, die diese Jobs zur Zeit machen, mir auch; das den Pfleger*innen zu erzählen, mit denen wir hier im Krankenhaus in einem Raum sitzen und deren Stundenlohn deutlich geringer ist, ist allerdings absurd. Hier zeigt sich ein System, das zwar keine gerechten Arbeitsbedingungen schafft, jedoch in einem erstaunlichen Maße Nothilfe leisten kann; in kurzer Zeit sind Testcontainer aufgebaut und verkabelt, Personal eingestellt; es wird getestet und getestet- nachhaltig und präventiv ist das nicht.

Meine größte Sorge ist es, dass diese Form der gesellschaftlichen Organisierung gestärkt aus dieser Situation herausgehen wird. Mich erinnert das grausig an 2015/16, wo ich für einige Monate in einer der zahlreichen Notunterkünfte für Geflüchtete gearbeitet habe. Alles wirkt in einem extremen Maße improvisiert. Es werden in kurzer Zeit mit erheblichem Ressourcenaufwand Strukturen aufgebaut, die einfach nur bürokratisch reagieren. So, als hätte niemand damit rechnen können. Für mich ist das heute wie damals frustrierend, 2015/16 weil ich das Maß der Ungerechtigkeit in den gesellschaftlichen Strukturen und deren gleichzeitige Dummheit erst zu begreifen begann und heute, weil es mir bitter vor Augen führt, dass ich das auf einer gewissen mentalen Ebene schon wieder vergessen hatte.

Unsere Aufgabe als Menschen, die tagtäglich für eine gerechtere Welt kämpfen, wird es sein, das politische Versagen in seiner Langfristigkeit sichtbar zu machen und zu verunmöglichen, dass Strukturen dadurch Vertrauen gewinnen, dass sie ihre selbst geschaffenen Probleme managen.

Flau arbeitet seit zwei Wochen in einem der zahlreichen Corona-Testzentren Deutschlands und vergibt dort die raren Testtermine. Absurde Einblicke in moralische, emotionale und systemische Abgründe sind inbegriffen.

Posted in #meinung, #tagebuch, deutsch.